Vom Bestreben, zu helfen - Interview mit Rekord-Bergwachtler Siggi Neiß
Am 5. Dezember ist der Tag des Ehrenamts. Die Corona-Pandemie hat auch das Ehrenamt grundlegend verändert. Nie waren die Herausforderungen für ehrenamtlich Aktive größer, nie war ihr Einsatz wichtiger. Der 82-jährige Siggi Neiß ist seit über 50 Jahren aktiv bei der Bergwacht Augsburg.
Wie kaum ein anderer steht er für ein erfolgreiches, generationenübergreifendes Engagement im Ehrenamt. 1948 kam der pensionierte Maschinenbaumeister mit seiner Familie als Vertriebener aus Schlesien nach Augsburg. Vor Kurzem hat Siggi Neiß das Goldene Ehrenzeichen für sein Engagement erhalten. Bis 2001 war er Bereitschaftsleiter, heute ist er verantwortlich für die Finanzen bei der Bergwacht Augsburg.
Herr Neiß, Ihr Engagement beim Bayerischen Roten Kreuz hat mit einem Erste-Hilfe-Kurs im Jahr 1956 begonnen…
Ja, ich hatte schon immer das Bestreben, anderen zu helfen. Ich wurde nach dem Kurs gefragt, ob ich nicht eine Sanitäterausbildung beim BRK machen und mich ehrenamtlich engagieren möchte. Die BRK Kolonne 3 Lechhausen, so hieß die Bereitschaft damals, war ein kleines, aber aktives Team.
1970 sind sie in die Bergwacht Augsburg eingetreten. Wie kam es dazu?
Ich habe mich nach meiner Ausbildung zum Maschinenschlosser für fünf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet. Dort war ich unter anderem beim Gebirgssanitätsbataillon und bei den Fallschirmjägern. Nach meiner Zeit beim Bund habe ich in Augsburg bei der Firma Pfister als Maschinenschlosser gearbeitet. Das Interesse an den Bergen und am Helfen hat mich nicht mehr losgelassen. So kam ich zur Bergwacht Augsburg. In Sommer- und Winterlehrgängen habe ich alles beigebracht bekommen, was alpinmäßig notwendig ist, um Rettungen durchzuführen. Kletterer abseilen, Bergungen aus Spalten, Schluchten oder aus einer Felswand, Vermisstensuche bei Lawinenabgängen und ähnliches. Auch der Naturschutz gehört zu unseren Aufgaben. Um mein Wissen zu erweitern habe ich weitere Lehrgänge der Bergwacht besucht wie z.B. Ausbilder für Sommer-, Winterrettung sowie zum Luftretter.
In über fünf Jahrzehnten haben Sie sicher viel erlebt – was bleibt besonders in Erinnerung?
Es gibt schöne und schlimme Einsätze. Manchmal versucht man alles Menschenmögliche und es geht trotzdem schlecht aus. Aber darüber möchte ich eigentlich gar nicht reden. Wichtig ist, dass wir eine super Gemeinschaft in der Bergwacht haben. Wir sind übrigens nicht nur in den Ski- und Wandergebieten im Allgäu, sondern auch in Augsburg im Einsatz. Bei FCA-Spielen betreuen wir z.B. eine Abseilstelle an den steilen Tribünen-Rängen für Notfälle. Bei der Sicherung der Mädchen beim Engelesspiel auf dem Christkindlesmarkt war ich von Anfang an dabei. Bei Rettungen unterstützen wir bei Bedarf auch unsere anderen Gemeinschaften im BRK. Da fällt mir ein spektakulärer Einsatz aus den 1976er Jahren ein. Ein Mann hatte sich im Rahmen einer Protestaktion in 106 Metern Höhe an den Kamin der Papierfabrik Haindl mit Handschellen angekettet und den Schlüssel weggeworfen. Es kam zu einem Hubschraubereinsatz, zwei Retter wurden mit der Winde vom Hubi abgeseilt. Sie zwickten in einer halsbrecherischen Aktion mit einem Bolzenschneider die Ketten durch und konnten ihn befreien. Ihm ein Rettungsgurt und er konnte mit dem Hubi zum Landeplatz geflogen und dort vom Notarzt versorgt werden.
Wie finden Sie Zeit für das Ehrenamt?
Man findet immer Möglichkeiten. Ich bin einfach absolut überzeugt vom freiwilligen Engagement. In meiner Freizeit bin ich im Bereich Oldtimer tätig. Meinen Fiat 1500 Cabrio 1969 kennt glaube ich der gesamte BRK Kreisverband Augsburg-Stadt…
Info zur Bergwacht Augsburg: Die Bergwacht Augsburg gibt es seit 1924. Wanderer, Kletterer, Ski- und Schlittenfahrer aus Bergnot retten ist die Hauptaufgabe der ehrenamtlichen Retter. Sie unterstützen die Bergwacht Oberstdorf in den Skigebieten Fellhorn, Nebelhorn und Grasgehren sowie die Bergwacht Memmingen im Skigebiet Eschach. Daneben sind die derzeit 37 Ehrenamtlichen immer gefragt, wenn Menschen aus Höhen, Tiefen oder unwegsamen Gelände gerettet werden müssen. Pro Saison sind die Retter aus Augsburg bei 20-30 Notfällen im Einsatz. Außerdem sorgen die Einsatzkräfte bei Events wie Skispringen oder Boulder-Meisterschaften für Sicherheit. Lust, Bergretter zu werden? Mehr Infos unter https://www.bergwacht-bayern.de/augsburg.html.
Foto (Bergwacht Augsburg): Siggi Neiß (2.v.rechts) bei der Ehrung für sein Engagement durch den Bereitschaftsleiter der Bergwacht Augsburg Johannes Wolf (rechts) und den stellvertretenden Bereit-schaftsleiter Jannis Konstas. Peter Mayr (2.v.links) wurde für 60 Jahre Mitgliedschaft geehrt.